@Isabel: Ist ja schön und gut aber es geht nicht immer darum, was der Hund möchte...
Wir leben in einer Gesellschaft in der viele Leute Angst vor Hunden haben. Außerdem gibt es diverse Gebiete, in denen Leinenpflicht herrscht. Und es ist wie du schon sagst, nicht jeder Hund abrufbar.
Nando ist bis auf wenige Ausnahmen draußen (außer im Garten natürlich) immer der Leine. Er hat noch nicht versucht, sich das Leben zu nehmen...
Tja, ob die Leinenpflicht tierschutzkonform ist, darüber kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Sicherlich freut sich auch Nando über Freilauf und auch wenn wir bezogen auf eben diesen unterschiedlicher Meinung sind, lohnt es sich doch, darüber noch einmal zu sprechen. Ich bin ja schon froh, daß Nando sich noch nicht das Leben genommen hat, weil er fast immer außerhalb des Grundstückes an der Leine ist.
Deshalb habe ich mal ein wenig geschaut, ob ich nicht darüber etwas finde, das zum Nachdenken Anregung liefert:
"Auslauf an der Leine
Verhaltensprobleme durch Unterbeschäftigung
Wird ein Hund ausschließlich an der Leine geführt, wird er in seinen Bewegungs- und Erkundungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Er kann weder in seiner Laufgeschwindigkeit noch in der Auswahl der für ihn relevanten Reize seinen Motivationen folgen. (Feddersen-Petersen, 1997), denn der Mensch bestimmt das Tempo und gewährt dem Hund an der Leine häufig nicht ausreichend Möglichkeiten zum Suchen und Prüfen von Duftmarken. Dies ist insbesondere beim Führen an der kurzen Leine und auch beim Führen des Hundes am Fahrrad der Fall. Aus den genannten Gründen bietet das Ausführen an der Leine einem Hund nicht die gleiche Qualität der Auslastung und Reizaufnahme wie der freie Auslauf. Daher besteht bei Leinenzwang die Gefahr, dass die Hunde nicht ausreichend ausgelastet werden. Wird hier nicht gezielt gegengesteuert, können sich aufgrund der Unterbeschäftigung Verhaltensprobleme entwickeln. Eine Untersuchung von Hallgren (1997) zeigte, dass eine Unterstimulation von Hunden mit häufigerem Auftreten von Verhaltensproblemen verbunden ist.
Verhaltensprobleme durch Behinderung des Sozialverhaltens
Nicht nur Bewegungs- und Erkundungsverhalten werden durch ein ausschließliches Führen an der Leine eingeschränkt, sondern insbesondere auch das artgemäße, innerartliche Sozialverhalten. Denn Leinenzwang unterbindet die Möglichkeit zu freiem Kontakt (und Spiel) mit Artgenossen. Dieser ist jedoch für das Sozialverhalten des Hundes von größter Bedeutung. Jeder Hund muss von frühester Jugend Sozialverhalten lernen, wozu er Kontakte zu Artgenossen braucht (Feddersen-Petersen, 1997). Nach Feddersen-Petersen (1997) können sich durch ständiges Anleinen wegen Unterbindens der arttypischen Kommunikation mit anderen Hunden Verhaltensfehlentwicklungen ergeben.
Viele Hunde verhalten sich demnach an der Leine aggressiv oder ängstlich Artgenossen gegenüber. Eine Ursache dafür ist, dass Hunde bei unzureichenden Kontaktmöglichkeiten oder bei dauerhafter Isolation ihre Sozialkompetenz gegenüber Artgenossen verlieren. Eine weitere Ursache für aggressives Verhalten an der Leine ist das frustrationsbedingte aggressive Verhalten, da die Hunde ihre Artgenossen auf Entfernung sehen, jedoch keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme haben. Auch angstagressives Verhalten kann an der Leine häufig beobachtet werden, da die Möglichkeit des Ausweichens, also die Flucht, dem Hund verwehrt wird. Wird ein angeleinter Hund von einem Artgenossen bedrängt, kann es daher zur Eskalation einer Situation kommen.
Gefahrenabwehr bei Problemhunden
Zu einer tiergerechten Haltung gehört die Möglichkeit zu freiem Auslauf ohne Leine und zu freiem Kontakt mit Artgenossen. Wenn ein Hund jedoch aufgrund seines Verhaltens Menschen, andere Hunde oder Tiere gefährdet (z.B. Aggressionsverhalten, Anspringen, Streunen, Wildern), hat die Gefahrenvermeidung oberste Priorität. Untersuchungen von Roll (1994, siehe auch Roll und Unselm, 1997) zeigten, dass der Großteil der Hunde, die andere Hunde verletzt haben, ohne Leine lief (86,4 Prozent) und bereits wiederholt gebissen hatte (87,5Prozent). Deshalb sollte ein Problemhund einer Verhaltenstherapie zugeführt und so gehalten werden, dass er niemanden gefährdet. Damit auch ein problematischer Hund die Möglichkeit zur Bewegung ohne Leine erhält, sollte er kontrollierten Freilauf unter Maulkorbschutz oder in einem hundesicher eingezäunten Gelände erhalten. Bei Hunden, bei denen die Gefahr des Weglaufens oder Wilderns besteht, sollte der Spaziergang an der langen Leine (Schleppleine) erfolgen, um dem Tier wenigstens ein Minimum an Freiheit an Freiheit zu gewähren. Der Freilauf ohne Leine sollte bei diesen Hunden ebenfalls auf einem eingezäunten Grundstück ermöglicht werden, wo auch der Rückruf geübt werden kann. Wünschenswert ist in jedem Fall das Durchführen eines Verhaltenstrainings, um das Problem zu bessern und dem Hund dadurch in Zukunft möglichst tiergerechte Haltungsbedingungen gewähren zu können.
Bewertung eines generellen Leinenzwangs
Nach Feddersen-Petersen (1979) ist ständiges Anleinen tierschutzrelevant, da dem Hund nicht nur die Möglichkeit genommen wird, seinem Bewegungsbedürfnis nachzukommen, sondern vielmehr die Möglichkeit der Aufnahme der für den Hund bedeutsamen Reizqualitäten verringert oder ganz verhindert wird und sich schließlich durch das Unterbinden arttypischer Kommunikation mit anderen Hunden Verhaltensfehlentwicklungen ergeben können. Aufgrund dieser Argumentation kommt Kluge (2002) in seinem Kommentar zum Tierschutzgesetz zu dem Schluss, dass durch Leinenzwang den Hunden Schäden im Sinne des § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes zugefügt werden. Es erscheint Kluge als zweifelhaft, ob solche Schäden den Hunden zugefügt werden dürfen, die bisher nicht verhaltensauffällig geworden sind.
In der früheren Verordnung über das Halten von Hunden im Freien (1975) war für Hunde in Anbindehaltung und „Räumlichkeiten“ (nach § 6) 60 Minuten „freier Auslauf“ vorgeschrieben. Nach Lorz und Metzger (1999) ist das bloße Spazierenführen oder der Aufenthalt auf einem Balkon nicht als „freier Auslauf“ zu werten. Da davon auszugehen ist, dass mit dem Neuerlass der Tierschutz-Hundeverordnung (2001) keine Verschlechterung beabsichtigt war, kann man vermuten, dass mit der neuen Formulierung „ausreichend Auslauf“ auch nicht das angeleinte Spazierenführen gemeint ist. Dies deckt sich mit dem Kommentar zum Tierschutzgesetz von Hirt et al. (2007), der besagt: „Beim Auslauf muss der Hund im Freien laufen können; das Hinauslassen auf den Balkon oder einen Hinterhof genügt auf keinen Fall.“.
Somit sind sich die Kommentatoren des Tierschutzgesetzes einig, dass ein genereller Leinenzwang bzw. das ausschließliche Ausführen an der Leine nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist. Auch die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags sehen darin einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Eine Haltung, bei der ein Hund keine Möglichkeit des freien Auslaufs hat, ist aufgrund der Einschränkungen des artgemäßen Erkundungs-, Bewegungs- und Sozialverhaltens nicht „verhaltensgerecht“ im Sinne des § 2 Nr. 1. Die EU-Kommission stellte 1998 klar, dass Bedürfnisse von Tieren, wozu auch das Sozialverhalten sowie Bewegung gehören, befriedigt werden sollten, denn „Ist ein Tier nicht in der Lage ein Bedürfnis zu befriedigen, so wird sein Befinden früher oder später darunter leiden.“
In vielen Fällen ist außerdem eine Bewegungseinschränkung im Sinne von § 2 Nr. 2 denkbar. Zwar ist Leinenzwang nicht unbedingt mit mangelnder Bewegung gleichzusetzen, da Hunde an der Leine auch beim Joggen oder Radfahren bewegt werden können. Diese sportlichen Tätigkeiten sind jedoch nicht allen Teilen der Bevölkerung möglich. Hunde haltende Seniorenhaben beispielsweise Mühe, ihrem Hund die notwendige Bewegung zu verschaffen, wenn, wenn in allen Grünanlagen des Wohnumfeldes Leinenzwang herrscht. Die Qualität der Bewegung beim angeleinten Laufen neben dem Fahrrad entspricht außerdem nicht der, die ein frei laufender Hund während seines Erkundungs- Sozial- oder Spielverhaltens hat.
Maßnahmen zur Vermeidung von Verhaltensproblemen durch Leinenzwang
Neben Welpenspielgruppen, die für alle Hunde empfohlen werden, sollten insbesondere die von den Reglementierungen betroffenen Hundehalter mit ihren Tieren Hundeschulen besuchen, um den Hunden die notwendigen Kontaktmöglichkeiten zu bieten. Die Verabredung gemeinsamer Spaziergänge auf erlaubten Arealen ist ebenfalls zu empfehlen. Neben der körperlichen, ist insbesondere die mentale Auslastung des Hundes zu beachten, um Problemen der Unterstimulation vorzubeugen. Jede Form von Beschäftigung, die Hund und Halter Freude macht, wie abwechslungsreiche Spiele oder das Beibringen von Kunststücken, aber auch Aktivitäten wie z.B. Agility, Flyball, Rallye Obedience, Rettungshundausbildung sind zu empfehlen und können helfen, die Einschränkungen bei den Auslaufmöglichkeiten in den Stadtgebieten zumindest teilweise auszugleichen.
Zusammenfassung
Folgende Empfehlungen zum Auslauf von Hunden können gegeben werden:
Ein genereller Leinenzwang für Hunde ist aus ethologischer Sicht abzulehnen und somit tierschutzrelevant. Zu einer tiergerechten Haltung von Hunden gehört die Möglichkeit zu einem freien Auslauf ohne Leine und zu freiem Kontakt mit Artgenossen. Leinenzwang und Maulkorb behindern den artgemäßen Sozialkontakt, die olfaktorische Kommunikation und das Erkundungsverhalten. Insbesondere bei Welpen sind die Möglichkeiten zu freiem Kontakt ohne Maulkorb und Leine mit Artgenossen für eine gesunde Verhaltensentwicklung essentiell.
Wenn in Stadtgebieten ein „genereller“ Leinenzwang vorgeschrieben sein sollte, müssen aus Tierschutzgründen ausreichend viele, große und für alle Hundehalter gut erreichbare, strukturierte Freilaufareale für Hunde zur Verfügung gestellt werden.
Ein Hund sollte ausgelastet, nicht aber überfordert werden. Er muss täglich mindestens zweimal für insgesamt wenigstens eine Stunde Auslauf im Freien haben. Wünschenswert sind zwei bis vier Stunden unter Berücksichtigung individueller Eigenschaften wie Alter, Trainings- und Gesundheitszustand, Rasse usw.
Der gemeinsame Spaziergang festigt die Beziehung zum Tierhalter und bietet dem Hund Möglichkeiten zur mentalen Stimulation durch Erkunden, sowie zum sozialen Kontakt mit Artgenossen und anderen Menschen. Der Aufenthalt im Garten ersetzt daher keinen Spaziergang."
Quelle:
Forum Kritische Tiermedizin
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Dr. Dorothea Döring, Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung, Veterinärwissenschaftliches Department der Tierärztlichen Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität München, Schwere-Reiter-Str. 9, 80637 München, Tel. (089) 15 92 78-0, Fax 157 82 77,
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